klären & lösen – Agentur für Mediation in Berlin

Das Dramadreieck

und wie wir das in der Mediation einsetzen können | Newsletter 4/2014

Die von Eric Berne begründete Transaktionsanalyse stellt viele für Mediator/innen hilfreiche Modelle zur Verfügung, die psychologisch fundiert, leicht verständlich und flexibel anwendbar sind.

An einem Fall aus dem Bereich Täter-Opfer-Ausgleich möchte ich Anwendungsmöglichkeiten des Dramadreiecks wie es Stephen Karpman entwickelt hat, vorstellen.


Der Fall

Ein Mann hat einen anderen mit einem Messer verletzt, nachdem er sich von ihm provoziert fühlte.
Ein Ausgleichsgespräch wird vereinbart und zu Beginn formuliert der Angreifer, dass Gewalt in dieser Form nicht sinnvoll ist und so ein Verhalten eigentlich auch nicht seine Art sei. Im weiteren Verlauf kommt es zu einer Verengung der Kommunikation: Der Angreifer möchte, dass der Angegriffene zugibt, dass seine Provokationen ebenfalls nicht ok waren. Der Angegriffene zeigt aber keine Bereitschaft dazu, sondern führt ins Feld, dass er sich nur der raumgreifenden Präsenz des Angreifers erwehren wollte, ohne dabei körperliche Gewalt anwenden zu müssen.

Der Angreifer fordert nun mehrmals von der Vermittlerin, dass sie dem Angegriffenen sagen soll, dass seine Provokationen nicht in Ordnung waren, ein Ansinnen, das die Mediatorin zurückweist. Mehrmals scheitern Versuche seinerseits, das Gespräch zurück in konstruktive Bahnen zu lenken, unabhängig davon, ob Angreifer oder Angegriffener angesprochen werden. Nach einiger Zeit äußert der Angegriffene erbost: „So hat das Verfahren echt keinen Sinn. Ich bin hier das Opfer, aber muss mich hier verteidigen. Mir geht es so schlecht wie kurz nach der Tat, und Sie tun nichts dagegen!“


Dramadreieck

Vereinfacht gesprochen, ist das Dramadreieck ein Modell, um sich eine bestimmte Abfolge von Interaktionen zu erklären, die ein psychologisches Spiel in Gang setzen. Das Spiel wird von den Beteiligten in einer bestimmten Rolle begonnen, und besteht darin, dass es im Verlauf zu einem Wechsel der Rollen kommt, bei denen sich die Beteiligten gemäß ihrer Ausgestaltung der Rolle dann gut oder schlecht fühlen dürfen.

Manche Spiele haben nur einen Dreh, also einen überraschenden Positionswechsel am Schluss, andere haben schnelle, sich dramatisierende Wechsel bis hin zu einem zumindest verbal hoch eskalierten Prozess, in dem die Beteiligten sich in schneller Folge beleidigen, verletzen und demütigen.

Menschen im Dramadreieck neigen dazu, ihre Wahrnehmungen, und damit ihre Mitmenschen und die Situationen, in denen sie sich gemeinsam befinden, zu verzerren, (negativ) umzudeuten oder ganz auszublenden. Entsprechend wenig hilfreich sind die Rollen im Dramadreieck:

Dramadreieck

Folgende Rollen gibt es im Dramadreieck:


Die Retterrolle

Die Retter/in möchte anderen helfen, sie beschützen und ihnen sagen, was gut für sie ist. Hier genießt man soziale Anerkennung und erhält die Bewunderung des Opfers, ohne jedoch echte Nähe riskieren zu müssen oder erreichen zu können. Die Retterin erzeugt Abhängigkeit, indem sie sich unentbehrlich macht. Solange ich jemandem helfen kann, brauche ich nicht auf meine eigenen Probleme zu schauen. Diese Selbstlosigkeit führt oft dazu, dass sich die Retterin am Schluss des Spiels in der Opferrolle wiederfindet - ohne die innere Erlaubnis, sich mit den eigenen Bedürfnissen zu befassen.


Die Opferrolle

In der Opferrolle geben wir uns hilflos und sprechen Einladungen aus uns zu helfen. Wir bekommen reichlich Zuwendung, positive wie negative, ohne uns groß bemühen zu müssen: Zuspruch durch Retter und Tritte vom Verfolger.

Opfer übernehmen keine Verantwortung. Sie bleiben passiv, erleben dies aber gleichzeitig als Belastung.


Die Verfolgerrolle

Hier dominieren und kontrollieren wir andere. Der Preis ist hoch: die einzige Form der Zuwendung ist Respekt, oftmals auch nur vorgeschoben. Der Selbstwert der Verfolgerin hängt davon ab, dass ihr die anderen unterlegen scheinen. Von außen betrachtet, erreichen Verfolger/innen oft ihre Ziele, doch sind ihre Siege vielfach nicht von Dauer, weil sie später in die Opferrolle rutschen oder sie das Erreichte nicht genießen können.

Betrachten wir mit diesem Instrumentarium das Eingangsbeispiel:

Indem der Angreifer vom Opfer verlangt, eigene Verfehlungen zuzugestehen, beginnt er das Spiel aus der Verfolgerrolle. Gleichzeitig versucht er, sich der Mediatorin gegenüber als Opfer zu verkaufen, indem er sie als Retterin anspricht („sagen Sie ihm, dass sein Verhalten auch nicht in Ordnung war“). Die Mediatorin nimmt diese Spieleinladung nicht an. Im Vorgespräch hat sie dem Angegriffenen versichert, dass die Rolle der Mediatorin unter anderem darin besteht, ihn als Opfer im Verlauf der TOA zu schützen. Während des Gesprächs zeigt der Angegriffene kaum Eigeninitiative, er bleibt passiv, signalisiert jedoch körpersprachlich zunehmend Unzufriedenheit. Vielleicht denkt er auch, 'wieso rettet mich die Mediatorin nicht'? Auch fühlt sich offenbar der Angreifer in seiner Verfolgerrolle wohl, ermöglicht sie ihm doch, sich nicht mit der Verantwortung für seine Tat zu beschäftigen. Beide bleiben in Bezug auf die Lösung passiv und erwarten die Rettung durch die Vermittlerin. Diese erfolgt aber nicht und jetzt wechselt der Angegriffene auf die Verfolgerposition. Vielleicht ist ihm der Angreifer eine Nummer zu groß, oder er spürt, dass sich die (ehemalige) Retterin besser zum Opfer machen lässt, jedenfalls verfolgt er nun die Mediatorin. Würde diese zum Beispiel jetzt Schuld- und Unzulänglichkeitsgefühle empfinden, hätte sie die Einladung angenommen. Vielleicht würde sie jetzt ihrerseits den Angreifer verfolgen ('Sie müssen dem Gespräch schon ein wenig Zeit lassen'), oder sich in der Opferrolle einrichten und den Prozess beenden und den beiden eine Kollegin empfehlen.

Wenn Menschen ins Dreieck wechseln, offenbaren sie damit immer auch eine zugrundeliegende emotionale Not.

Genau wie unsere Klienten werden wir als Mediator/innen unsere bevorzugten Einladungen und Spielverläufe haben, und es lohnt sich, diese für sich zu identifizieren und sich Auswege daraus zu überlegen.


Raus aus dem Dreieck!

Zwei Dinge finde ich besonders hilfreich:
1. Was sagt mir meine Intuition? Welche Gefühle weckt die Situation in mir? Dann stelle ich mir Fragen wie: Was sagt mir mein Gefühl über die augenblickliche Situation? Welche Aspekte sind gerade unter meiner bewussten Wahrnehmungsschwelle geblieben und suchen sich auf diese Weise ihren Weg? Was sind meine augenblicklichen Befürchtungen oder Hoffnungen, und wie hilfreich - bezogen auf die Situation bzw. das Thema - sind sie gerade?
2. Bin ich (noch) in der zugewandten und zuversichtlichen Haltung der Mediator/in? Bin ich gerade der Meinung, dass mein Gegenüber unabhängig von ungelösten Problemen und vielleicht aktuell herausforderndem Verhalten in seinem Kern 'in Ordnung' ist? Und wie steht es mit meinem Selbstbild als Mensch und Mediator? Bin ich 'OK'? Auch wenn ich vielleicht gerade noch keine Idee habe, ob und wie diese Mediation ein gutes Ende finden wird?

Und wie steige ich aus, wenn ich feststelle, doch (mal wieder...) eine Einladung angenommen zu haben und im Dreieck zu sein?

Im Eingangsbeispiel, wenn der Mediatorin aufgefallen wäre, dass die beiden sozusagen in ihren alten Rollen einfach weitermachen, hätte sie durch Fragen versuchen können, die intellektuellen Ressourcen der beiden anzuzapfen, z. B. „was hätte Herr X sagen oder tun können, um sie davon zu überzeugen, dass er nicht mit Ihnen sprechen möchte?“, oder „Was hat Herr X eigentlich gerade getan, als Sie ihn angesprochen haben? Was, glauben Sie, hat er sich von Ihnen gewünscht?“

Oder sie hätte, nachdem der Angegriffene sich auf die Verfolgerposition gesetzt hat, sagen können: „Herr X, ich sehe, Sie sind ungehalten, ich hatte Ihnen beiden ja im Einzelgespräch gesagt, dass ich immer darauf achten würde, dass Sie, Herr X, als Geschädigter besonders geschützt werden. Können Sie uns sagen, was Sie von mir, und was Sie von Herrn Y jetzt erwarten, um herauszufinden, ob und wie wir hier weiter arbeiten wollen?“

Oder ich kann in mich hineinfühlen, wie es für den Angegriffenen ist, vom Täter aufgefordert zu werden, ein Zugeständnis in Richtung Mitschuld am Geschehen zu machen, und seine Empörung, seine Eingezwängtheit in die Manöver des Angreifers oder seine Angst, im Verlauf des TOA-Gesprächs nun zum zweiten Mal, sozusagen endgültig zum Opfer gemacht zu werden (oder welche Gefühle sonst bei ihm eine Rolle spielen mögen). Daraufhin hätte ich die Möglichkeit, nach meiner Intuition den nächsten Gesprächsschritt anzugehen: Indem ich den Angegriffenen aktiv schütze, den Angreifer zirkulär frage („Was glauben Sie, wie es Herr X mit ihrer Forderung geht“ oder „Wenn Sie an seiner Stelle wären, was müsste Ihr Gegenüber tun, damit sie bereit wären, eigene Verhaltensanteile an der Eskalation in Erwägung zu ziehen“) oder indem den Angegriffenen dopple, um ihn aus der Konfrontation mit dem Täter zu nehmen.

Ich kann den Ausruf des Angegriffenen ('mir geht es jetzt genauso schlecht wie bei der Tat') spiegeln und dann sagen: „Ich nehme wahr, dass Sie noch sehr beeindruckt von dem ganzen Geschehen sind, Herr X“ und „Wie geht es Ihnen damit, Herr Y, wenn Sie sehen, wie Herr X auf die Situation jetzt noch reagiert“ und „Gibt es etwas, das Sie ihm anbieten können, damit sich die Atmosphäre in diesem Gespräch zwischen Ihnen wieder verbessert“.

Das Produktive an der Arbeit mit TA-Modellen ist (im Gegensatz zu Ratschlägen wie 'ich sage Ihnen jetzt, was die richtige Antwort in einer solchen Situation ist'), dass sich daraus eine Fülle von adäquaten und erfolgversprechenden Gesprächsstrategien ergibt: Was kann ich tun, um die Gefühle und Bedürfnisse der Beteiligten zur Sprache bringen zu können? Was kann ich zu einer Atmosphäre der Wertschätzung, mir und den anderen gegenüber beitragen? Es wird immer darum gehen, die emotionale Not der Menschen im Dreieck anzuerkennen, und gleichzeitig die Ressourcen der Beteiligten zu aktivieren.

(Rüdiger Hausmann)

Eine längere Fassung des Artikels ist im TOA-Magazin 2/2014 erschienen.