klären & lösen – Agentur für Mediation in Berlin

Veränderungen gestalten

Newsletter 1/2019

wir wissen dass alles was kommt/
auch wieder geht/
warum tut es dann immer wieder/
und immer mehr weh/

Gerhard Gundermann: Weisstunoch, 1997

In der Mediation werden Veränderungsprozesse gestaltet. So wie es ist, kann es nicht bleiben, denn die aktuelle Situation ist für die Beteiligten ungünstig. Gleichzeitig ist der Mensch aber auch ein Gewohnheitstier und Veränderungen zu denken, zuzulassen und zu gestalten ist nicht einfach, selbst dann nicht, wenn der aktuelle Zustand weder uns noch anderen gut tut.

Wenn wir uns fragen, wie wir Veränderungen gestalten können und wie wir als Mediator/innen, Coaches, Supervisor/innen oder Berater/innen Menschen in Veränderungsprozessen unterstützen können, müssen wir uns zunächst einmal fragen, was Veränderung überhaupt bedeutet.

Veränderung bedeutet nämlich nicht, dass alles anders wird. Manches bleibt so, wie es war. Anderes muss verbessert werden und es mag auch noch etwas Neues dazu kommen. Auch wenn es so scheint, der Kollege muss nicht ein ganz anderer Mensch werden, sondern es sind Aspekte seines Verhaltens, die uns stören. In der Frage wo die Kinder künftig wohnen werden und wer sie wann sieht, soll einiges grundlegend so bleiben wie es schon ist, manches muss sich aber auch ändern.

Die von Kornelia Rappe-Giesecke entwickelte Wandeltriade kann helfen Veränderungen noch einmal anders zu denken und Menschen (und uns selbst) in Veränderungsprozessen zu unterstützen.

Folgt man ihr, setzt sich Wandel aus drei Prozessen zusammen: Dem Bewahren und Widerholen, dem Vermindern und Vermehren und dem Vernichten und Erneuern. Anders könnte man auch sagen: Einiges soll bleiben, einiges soll verbessert werden und etwas muss neu hinzukommen oder muss über Bord geworfen werden.

Bewahren und Wiederholen

Wandeltriade-1

Bewahren hört sich ja erst einmal konservativ an. Ohne Bewahren gibt es aber keine Identität. Etwas muss so bleiben, wie es ist oder war, sonst hat sich ein System aufgelöst. Bewahren heißt aber nicht, dass es genauso bleiben muss. Es gibt ja immer auch etwas, was wir zwar schon tun, an das wir uns aber wieder erinnern müssen, weil es soweit in Ordnung ist, wie es ist. Rappe-Giesecke bezeichnet dies als reparieren, also etwas was wir haben, wieder in Stand setzen. In ihren Worten bedeutet Bewahren dreierlei: Etwas wiederholen, also etwas was wir bereits tun weitermachen, etwas konservieren (Routinen, Glaubessätze, Leitbilder usw.), oder aufbewahren und eben etwas reparieren.

Selbst in hocheskalierten Konflikten gibt es etwas, was die Konfliktparteien bewahren möchten: Die gemeinsame Sorge um das Kind, die Bedeutung des Arbeitsplatzes, Elemente der Unternehmenskultur oder Abläufe, die gut funktionieren

Vermindern und Vermehren

Gleichzeitig wird im Wandel vermindert oder vermehrt. Wir können öfter zum Sport gehen, Prozesse sauberer dokumentieren, mehr oder weniger Zeit mit unserem Kind verbringen. Es geht natürlich nicht nur um die Anzahl der Stunden sondern auch um die Intensität oder um Inhalte. Gesellschaftlich werden die Prozesse des Verminderns oder Vermehrens häufig als Reform bezeichnet.

In Mediations- oder Beratungsprozessen spielt dieser Modus eine wichtige Rolle. Unsere Kundschaft kann darauf hinarbeiten, etwas was sie schon macht, zu verstärken oder weniger zu tun, ohne grundlegend Neues angehen zu müssen.

Vernichten und Erneuern

Wandeltriade-2

Immer gibt es aber auch etwas, was nicht mehr passt. Etwas was man sein lassen sollte oder, um sich den veränderten Umständen anzupassen, auch neu dazu erfinden oder entdecken muss. Dies kann eine neue Sportart sein, eine neue Qualifikation, neue Prozesse im Unternehmen, neue Beziehungen knüpfen, ein neuer eigener Modus der Kinderbetreuung. Oder eben das Gegenteil davon: Einen Sport sein zu lassen, Prozesse nicht mehr zu machen, Bindungen zu lösen usw.

Etwas sein zu lassen, was man lange getan hat oder etwas Neues zu tun ist immer der schwierigste Teil, bis auch er wieder zu einer Routine wird.

Prämierungen

Menschen und Systeme sind unterschiedlich: Die einen bevorzugen das Bewahren, die anderen sind eher auf der Seite des Verbesserns. Wieder andere haben weniger Probleme mit dem Vernichten und dem Erneuern. Das ist zum einen typ- oder organisationsabhängig, zum anderen hängt es mit dem zusammen, was sich verändern soll oder muss. Geht es um den Erhalt des Systems, werden viele progressive Menschen oder Systeme konservativ und schlagen sich auf die Seite des Bewahrens.

Arbeiten mit der Wandeltriade

Während die einen Veränderungen freudig begrüßen, fürchten sich andere davor. Die Wandeltriade kann helfen beides zurechtzurücken, indem sie aufzeigt, dass Veränderungen immer alle drei Komponenten enthalten. Selbst im radikalsten Wandel wird etwas bewahrt. Und auch in einer kleinsten Veränderung wird zumindest etwas vermindert oder vermehrt. Indem wir unseren Kunden, egal in welchem Beratungsformat, diese Dimensionen des Wandels zur Verfügung stellen, wird die Gestaltung der Veränderung greifbarer. Wir können das tun, indem wir die Wandeltriade als Bild zur Verfügung stellen oder sie als Konstrukt im Kopf haben und in den Dimensionen der Veränderung denken.

Nun ist es so, dass Menschen manchmal trotzdem keine Veränderungen wünschen. Hier könnte ein Blick auf die Veränderungsformel, wie sie von Dannemiller und Tyson entwickelt wurde, helfen. Sie sagen, dass das Produkt aus der Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation, einer positiven Vision der Zukunft und den Erfahrungen die ersten Schritte gehen zu können, größer sein muss als die Summe der Ängste, Widerstände oder sonstiger Beharrungsmechnismen. Etwas mathematischer ausgedrückt: U * V * E > W (Unzufriedenheit * Vision * Erfahrungen mit den ersten Schritten > Widerstand). Es muss also immer einen Anreiz geben muss um etwas zu verändern, der gepaart werden muss mit einer möglichst positiven Vision von der Zukunft und dem eigenen Vermögen, die ersten Schritte zu gehen. Und hier kann uns die Wandeltriade helfen, die Ressourcen für diese Schritte in den Blick zu nehmen und sie machbarer erscheinen zu lassen.

Beispiele aus der Beratungspraxis

Eine Bereichsleiterin und eine Teamleiterin aus einer Behörde haben seit längerem einen Konflikt, der sich an der Art der Ausführung der Arbeit der Teamleiterin entzündet. Mittlerweile hat dieser Konflikt sich auch auf die Kommunikation der beiden ausgewirkt. Es gibt, so die Aussage der Bereichsleiterin, einen massiven Vertrauensverlust. Und von Seiten der Teamleiterin keinen Glauben mehr daran, dass sie mit ihrer Chefin schwierige Fälle ansprechen kann. Nachdem in der Mediation einiges ausgesprochen wurde, ging es nun darum, einen Weg für die Zukunft zu finden. Und da gab es, für die beiden überraschenderweise, einiges, was sie sich bewahren wollten: Ihre Montagsrunden, die Fachlichkeit, ihre Kommunikation, auch wenn diese immer noch gestört war, dass sie den Konflikt nicht über Dritte austragen usw. Es gab natürlich auch einiges, was es zu verbessern galt: Die Art wie man sich Feedback gibt, bestimmte Abläufe, veränderte Freigaberegelungen. Und es musste etwas Neues dazu: Eine Stoppregel, wenn sich eine durch das Verhalten der anderen verletzt fühlt und neue Überprüfungsroutinen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Der Blick auf das Bewahrenswerte hat hier die Aufgabe, Veränderungen zu etablieren leichter gemacht.

Das Gleiche galt für die Arbeit mit einem Team in einem Visionsprozess mit ca. 40 Teilnehmer/innen des Unternehmens. Gestartet sind wir, ganz im Sinne der Wandeltriade, mit dem, was diese sie sich erhalten möchten. Dies bezog sich sowohl auf die Strukturen des Unternehmens und als auch auf die Kommunikation untereinander. In der Arbeit an der Vision „Wo wollen wir in fünf Jahren sein, was wollen wir in fünf Jahren machen?“, waren alle aufgefordert groß zu denken, rumzuspinnen. Nun kennen wir alle die Magie von großen Ideen: Vieles hört sich toll an, nur wo anfangen? Und wenn es zu groß wird, zu weit weg erscheint, zu utopisch ist, gibt es eine Tendenz, nichts davon in die Tat umzusetzen. Das ist wie mit den guten Vorsätzen zu Silvester. In der Rückbindung an das, was sie schon tun, an das, was sie nur Vermindern oder Vermehren müssen von dem, was schon da ist, ist das Neue weniger groß geworden. Eine der Ideen des Teams war es, eine Dependance im Ausland zu eröffnen. Emotional erschien das allen sehr attraktiv. Für ein relativ kleines Berliner Unternehmen jedoch ein großer Schritt. Nun zeigte sich aber, dass viele der Mitarbeiter/innen aus unterschiedlichen Ländern stammten und Verbindungen in ihre Heimatländer hatten. Gleichzeitig waren die Strukturen des Unternehmens gut auf Wachstum eingestellt, so dass eine neue Filiale gut machbar schien. Erst mit dem Blick auf das Vorhandene war das Neue für alle gut denkbar und rückte in den Bereich des Möglichen.

(Michael Cramer)

Literatur: