klären & lösen – Agentur für Mediation in Berlin

Mediative Dialogprozesse in einer Klinik

Schnittstellen zwischen Pflegepersonal und Ärzten auf einer Intensivpflegestation gestalten | Newsletter 1/2020

Arbeitsabläufe müssen, um effizient und zufriedenstellend zu sein, gut koordiniert und für alle Beteiligten klar sein. Insbesondere gilt dies in Bereichen, in denen es um Leben und Tod geht. Unklarheiten, Animositäten und Verantwortungsdiffusion haben dort fatale Folgen. In manchen Arbeitsbereichen gibt es aber auch erhebliche Statusunterschiede zwischen Berufsgruppen und gleichzeitig großen Druck. Hier einen Dialog herzustellen, in dem Abläufe, Bedarfe, Kommunikation usw. besprochen werden können, ist eine Herausforderung.

Arbeitsabläufe in Kliniken und Krankenhäusern sind durch eine verhältnismäßig klare Trennung von Verwaltung, ärztlichem Dienst und Pflegeleistungen gekennzeichnet. Die Arbeit an und mit den Patienten hat jedoch zahllose Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten, die eine strikte Trennung, wo ärztliche Aufgaben enden und wo die Arbeit des Pflegepersonals beginnt, unmöglich machen.

In kaum einer anderen Berufsgruppe ist die engmaschige Vernetzung der Aufgabenbereiche und eine präzise, wertschätzende, prozessorientierte und unterstützende Kommunikation so unabdingbar, wie in der Intensivmedizin und -pflege. Hier treffen verschiedene Berufsgruppen in einem hochkomplexen und anspruchsvollen Arbeitsgebiet aufeinander: Pflege, Behandlung, Überwachung und Begleitung von Intensivpatienten aber auch von Angehörigen ist Teil des gemeinsamen beruflichen Auftrags, der gute Kommunikation in Form von Information, Dialog, Motivation und Wissenstransfer uneingeschränkt notwendig macht.

Der Umgang mit schwerstkranken Patienten, Sterbenden und ihren Angehörigen, zunehmender wirtschaftlicher Druck, eine dauerhaft hohe emotionale und körperliche Belastung, Schicht- und Wochenenddienste, Kompetenzstreitigkeiten, interne Konflikte und Mitarbeiterwechsel belasten Ärzte wie auch Pflegekräfte gleichermaßen.

dialogprozesse


Ziele des Dialogs

Wir haben die Erfahrungen gemacht, dass sich ein Dialogprozess anbietet, um das gegenseitige Verständnis der unterschiedlichen Berufsgruppen für die jeweiligen Abläufe, Sichtweisen als auch den Umgang mit Patient/innen und deren Angehörigen zu erhöhen. Dies kann geschehen, wenn sich Konflikteskalationen an den Schnittstellen häufen oder eben auch präventiv, um genau solche zu vermindern. Unser Ziel ist es, einen gemeinsamen Nenner für das Wirken am Patienten zu entwickeln, der sich in sinnvollen Abläufen, transparenter Kommunikation und gegenseitiger Akzeptanz ausdrückt.

Wir wollen hier von unseren Erfahrungen berichten, wie ein Dialogprozess für alle konstruktiv, nachhaltig und einträglich geführt werden kann.

Folgende Fragen stehen bei der Initiierung im Vordergrund:


Prozessgestaltung

Um diesen Prozess zu initiieren, werden zunächst Delegationen beider Berufsgruppen gebildet, in denen sich die Vielfältigkeit (Alter, Geschlecht, Betriebszugehörigkeit, Hierarchien, etc.) des ärztlichen und des pflegerischen Personals abbildet.

Exemplarisch kann ein solcher Prozess wie folgt gestaltet werden:

(1) Bildung von Delegationen beider Berufsgruppen.
(2) Auswahl einer bestimmten Anzahl von Pflegekräften (unterschiedlichen Alters, Geschlecht, Betriebszugehörigkeit, etc.).
(3) Auswahl einer bestimmten Anzahl von Ärzten (unterschiedlichen Alters, Geschlecht, Betriebszugehörigkeit, Oberärzte, Assistenzärzte, Fachärzte etc.).

Jeder Delegation werden im Folgenden eine Anzahl an Mitarbeitern der jeweiligen Berufsgruppe zugewiesen, die über den gesamten Prozess informiert und zu ihrer Sichtweise befragt werden. So hat jeder Pfleger/jede Ärztin eine/n Vertreter/in innerhalb des gesamten Gestaltungsprozesses.

Beispiel: Eine Station mit 60 Intensivpfleger/innen bildet eine Delegation aus 8 Intensivpfleger/innen. Diesen werden nun jeweils 6-7 der verbleibenden Pflegekräfte zugeordnet, die während des Gesamtprozesses (mit ihrem Vertreter aus der Delegation) im Austausch stehen. Das gleiche geschieht auf ärztlicher Seite, sodass die Gesamtdelegation insgesamt aus 15 – 20 Teilnehmer/innen besteht. Ein gut begleiteter Dialogprozess dauert nach unserer Erfahrung bei dieser Größenordnung ca. 10 – 14 Monate. Dies ist abhängig davon, wie gut die einzelnen Sitzungen in den Arbeitsalltag eingeflochten werden können.

1. Phase der Erhebung der Themen in beiden Berufsgruppen

Nachdem die Struktur der einzelnen Mitarbeiter/innen steht und jeder über den Prozess informiert ist, arbeiten wir jeweils mit der Pflege- sowie Ärzte-Delegation zu den einzelnen Schwierigkeiten an den Schnittstellen. Hierbei behandeln wir insbesondere die Schwierigkeiten in den Themenbereichen Kommunikation und Beziehung, Strukturen und Abläufe sowie Gerechtigkeit und Fairness. Dabei entsteht eine Übersicht über die herausfordernden Themen in Zusammenarbeit mit der jeweiligen anderen Berufsgruppe. Die einzelnen Delegationsmitglieder haben nun die Aufgabe, die gewonnenen Erkenntnisse an ihre zugeordneten Mitarbeiter weiterzuleiten, deren Sichtweise, Anmerkungen sowie Ergänzungen zu sammeln und der Prozessberaterin zur Verfügung zu stellen. Unser Eindruck ist, dass allein die gemeinsame Auseinandersetzung über diese Themen bereits eine stückweite Erleichterung schafft, da im Klinikalltag in der Regel wenig Zeit zur Reflexion bleibt. Um eine größtmögliche Teilnahme der zugeordneten Mitarbeiter/innen zu erzielen, liegt es an uns die Delegation in einem Maße zu motivieren, dass sie auch bei den Mitarbeiter/innen dranbleibt, die wenig Zeit oder wenig Interesse am Dialogprozess haben. Unser Ziel ist es eine größtmögliche Beteiligung des gesamten Personals zu erzielen.

2. Phase der Gegenüberstellung beider Berufsgruppen

Nachdem alle Sichtweisen der Delegationen sowie der zugehörigen Berufsgruppe eingeholt wurden, findet die Gegenüberstellung der einzelnen Themenübersichten statt. In einem mediativen Prozess werden die Sichtweisen der jeweils anderen Berufsgruppe zur Verfügung gestellt und erhellt. Wir erleben in dieser sehr spannenden und intensiven Phase, wie Vorbehalte, Vorwürfe, Unsicherheiten, Frustrationen und gleichermaßen Hoffnungen der einzelnen Delegationsmitglieder ausgetauscht werden.

3. Gestaltung des Dialogprozesses

Unser Ziel in dieser Phase ist es einen Dialogprozess zwischen Ärzt/innen und Pflegekräften zu initiieren. Mithilfe von Selbstreflexionsmethoden regen wir beide Gruppen gleichermaßen dazu an, ihr eigenes Verhalten zu hinterfragen, neugierig für die Perspektive der anderen zu sein und aufeinander zuzugehen. In regelmäßigen Abständen werden diese Erkenntnisse durch die Delegation an die zugeordneten Kolleg/innen kommuniziert und individuelle Sichtweisen und Standpunkte eingeholt, überprüft und in weiteren Sitzungen in der Delegation besprochen. Durch diesen Prozess der Verständigung können Lösungsmöglichkeiten erarbeitet werden, wie die konkrete Zusammenarbeit in Zukunft besser gelingen kann. Diese werden wiederum an alle Mitarbeiter/innen weitergegeben und im Alltag ausprobiert. Diese Phase des Prozesses ist äußerst lebendig, da ein Wechsel zwischen Annäherung, Ablehnung, Verständnis und Unverständnis für die jeweiligen Sichtweisen sowie Erlebnisse im Arbeitsalltag stattfindet. Über die Zeit lernen die Delegationsmitglieder, wie diese Ambivalenz ausgehalten und besprochen werden kann und dass es möglich ist, unterschiedlicher Meinung zu sein und dennoch an einem Strang zu ziehen.

4. Kontrolle der Einhaltung

Da wir jede/n Mitarbeiter/in in den Gesamtprozess einbezogen haben bzw. jede/r Mitarbeiter/in die Möglichkeit hatte sich zu äußern, ist das Ergebnis sehr nachhaltig. Über regelmäßige Feedbackrunden innerhalb der Delegation sowie im Austausch mit den jeweiligen zur Delegation gehörenden Kolleg/innen, können die Vereinbarungen im Arbeitsalltag auf ihre Machbarkeit überprüft und ggf. nachjustiert werden.


Fazit

Wir erleben diese Prozesse als eine starke Intervention in den Klinikalltag, da die betroffenen Berufsgruppen wenig Erfahrungen mit Verständigungsprozessen haben und anfangs eher skeptisch reagieren. Jedoch im Verlauf des Prozesses wird es möglich, zunehmend die Perspektive der anderen nachzuvollziehen, miteinander positive Alltagserfahrungen zu sammeln und Lösungsstrategien zu erkennen. Kurz: Es wird wieder der gemeinsame Fokus deutlich: Dass eine optimale Patientenversorgung nur sichergestellt werden kann, wenn sämtliche Berufsgruppen in bestmöglicher Zusammenarbeit ihre Aufgaben bewältigen. Uns erfüllt die Arbeit in diesem Bereich sehr, da es uns eine große Freude ist, einen Beitrag zur Verbesserung der Zusammenarbeit an den Schnittstellen herzustellen, welche Auswirkungen auf die optimale Versorgung von Patient/innen hat.

(Kristin Kirchhoff)