klären & lösen – Agentur für Mediation in Berlin

Gemeinsam gewinnen

oder einfach nur Rechthaben | Newsletter 4/2011

Zu den ersten Übungen vieler Mediationsausbildungen gehört ein Rollenspiel, in dem die Teilnehmer zuerst in die Rolle eines Richters, dann in die Rolle eines Mediators schlüpfen, um einen Konflikt zwischen zwei Parteien zu bearbeiten und die unterschiedlichen Herangehensweisen zu erfahren. Die Vor- bzw. Nachteile beider Wege zeigen sich sehr schön in der folgenden, aus dem realen Leben gegriffenen Konfliktgeschichte zwischen der Mieterin Frau Müller und ihrem Vermieter Herr Keller.

Frau Müller kam zu mir, um sich hinsichtlich eines eskalierten Konfliktes mit mir zu beraten. Sie hatte von dem Verfahren der Mediation gehört und wollte wissen, ob ihr Fall dafür in Frage käme.

Sie schilderte, was bisher geschah:

Frau Müller wohnt im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses. Der Hausbesitzer wohnt im gleichen Haus, zwei Treppen höher. Sie wohnt gerne dort, obwohl es schon öfters Differenzen zwischen ihr und Herrn Keller wegen der jährlichen Nebenkostenabrechnung gab. Diese von ihm selbst erstellte Berechnung war vor zwei Jahren so offensichtlich falsch, dass Frau Müller sie nicht bezahlte und Herrn Keller bat, die Abrechnung hinsichtlich ihrer Kritikpunkte noch einmal zu prüfen. Herr Keller fühlte sich sofort angegriffen und schaltet auf stur. Es folgte eine Mahnung seinerseits mit der Aufforderung, die Nebenkosten umgehend zu bezahlen. Da Frau Müller nicht weiter wusste, ließ sie sich bei der Mieterberatung beraten. Der bearbeitende Rechtsanwalt sah auch grobe Mängel bei der Abrechnung und empfahl Frau Müller, juristisch gegen die fehlerhafte Nebenkostenabrechnung vorzugehen. Dem stimmte sie zu, da ihr die Mahnung des Vermieters im Nacken saß.

Nach Bekanntwerden der anwaltlichen Vertretung verhielt sich Herr Keller gegenüber Frau Müller bei zufälligen Treffen im Treppenhaus unfreundlich und ablehnend. Gespräche, wie sie früher stattgefunden haben, gab es nicht mehr. Es gab lediglich die Information, dass jetzt die Rechtanwälte beider Seiten die Sache klären würden.

Als Frau Müller das Schreiben ihres Rechtsanwalts an Herrn Keller zum ersten Mal in den Händen hielt, war sie sehr verwirrt. So eine harte Position hatte sie gar nicht einnehmen wollen. Ein Telefonat mit dem Rechtsanwalt ergab, dass er siegessicher das Bestmögliche herausholen wollte. Bei dieser Forderung spielten falsche Berechnungen gar keine Rolle mehr, sondern verschiedene Formfehler. Der Anwalt erklärte, dass Frau Müller eigentlich gar keine Zahlungen leisten müsse!

Nun war Frau Müller in einer ungewollt misslichen Lage. Sie wollte gar nicht „nichts“ bezahlen. Sie war natürlich bereit ihre entstandenen Nebenkosten zu begleichen, wenn sie korrekt berechnet wären. Jetzt hatte sie den Vermieter mit dieser hohen Forderung gegen sich aufgebracht und eine unangenehme Atmosphäre in der nachbarschaftlichen Gemeinschaft war entstanden. Zu der Zeit war die Stimmung im Haus vergiftet. Sie traute sich kaum noch durch das Treppenhaus, aus Angst ihrem Vermieter zu begegnen, der sie bei einer Begegnung sogar beschimpfte.

Dies war der Zeitpunkt, als sich Frau Müller nach einer Mediation umschaute und zu mir kam. Ich empfahl ihr, sich bei ihren Anwalt dafür zu bedanken, dass er versucht habe ihre Interessen (so wie er sie interpretiert hatte) zu vertreten, ihn dann aber zu bitten, von der Position Abstand zu nehmen und dem Vermieter ein Kompromissangebot zu machen. Frau Müller machte ihrem Anwalt deutlich, dass es ihr nicht darum ginge, die bestmögliche Forderung durchzukämpfen, sondern mit ihrem Vermieter faire Verhandlungen zu führen.

Außerdem empfahl ich ihr, Herrn Keller einzuladen mit einem Mediator zusammen die strittigen Punkte in Ruhe zu besprechen und eine für alle faire Lösung zu erarbeiten – was auch geschah. Die dadurch entspannte Situation führte wieder zu den alten Treppenhausgesprächen.

Betrachtungen:

Gut zu erkennen ist, wie der Konflikt zunehmend eskaliert, da es nicht mehr nur um die Sache an sich geht, sondern vor allem die Beziehungen und die Atmosphäre im Haus darunter litten. Durch das eskalierende Vorgehen des Anwalts „verselbständigte“ sich der Konflikt. Bei Frau Müller überwog zwischenzeitlich das Gefühl, keinen Einfluss mehr auf das Geschehen zu haben.

Hier wird sehr gut sichtbar, dass immer da, wo Konfliktparteien auch nach einem Streit miteinander zu tun haben (Familie, Beziehungen, Nachbarschaft, Trennung/Scheidung, Arbeitsplatz, Erbschaften...) sich der kurzfristige, und oft lang erkämpfte Erfolg bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung eher rächt. Der erwartete oder tatsächliche „Sieg“ vor Gericht kann zu Spannungen auf der Beziehungsebene der Streitparteien führen. Das Wohnen unter einem Dach kann so zu einer Qual werden, der nächste Streit ist vorprogrammiert.

Natürlich hat auch eine rechtliche Auseinandersetzung in manchen Fällen seine Vorteile. Nur bietet sie sich in aller Regel dann nicht an, wenn die Konfliktparteien nach der Auseinandersetzung eine gemeinsame Zukunft haben. Auch der Gesetzgeber sieht dies so. Anwälte und Gerichte sind gehalten, nach einer für beide Seiten zufrieden stellenden Lösung zu suchen - Mediation ist hier ausdrücklich vorgesehen, denn sie bietet einen entscheidenden Vorteil: Ziel ist hier, eine für beide Seiten zufrieden stellende, langfristige Lösung (win-win) zu finden, die von beiden (mit Hilfe eines unparteiischen Dritten) eigenständig erarbeitet wurde. Während dieses gemeinsamen Prozesses stehen Interessen und Bedürfnisse der Parteien im Vordergrund, so kann sowohl die Sachebene als auch die Beziehungsebene erfolgreich bearbeitet werden.

(Wilhelm Eßer)