Spiegelneurone
Der Antrieb zur Selbstreflexion | Newsletter 1/2011
Die Spiegelneurone wurden Mitte der 1990er Jahre von G. Rizzolatti und seinen Mitarbeitern entdeckt und gelten als Grundlage für Intuition und Empathie (1). Sie organisieren Handlungen, machen Gefühle bewusst und lassen uns in ein „Mitschwingen“, also in Resonanz mit einem Gegenüber gehen. Rizzolatti und Mitarbeiter wollten erforschen, welche Neurone im Gehirn eines Affen aktiv sind, wenn dieser eine Handlung ausführt. Bis dahin war bekannt, dass es im Gehirn eines Affen, wie auch im menschlichen Gehirn, Areale gibt, die für Motorik, für die Koordination der Muskeln bei einer Bewegungsausführung und solche, die für die Planung einer Handlung zuständig sind. Joachim Bauer nennt diese Neurone Asterix und Obelix Neurone (2). Asterix ist in den Comics immer für das Austüfteln eines Plans zuständig und Obelix, da er als Kind in den Zaubertranktopf gefallen ist, für deren Ausführung. Das heißt, dass unser Gehirn erst unsere Handlungen plant und dann Areale aktiviert, die zur motorischen Ausführung nötig sind.
Es scheint in unserem Gehirn ebenso zuzugehen wie in unserem Leben: Wir und das Gehirn planen Handlungen. Interessant ist jedoch die Erkenntnis, dass die Asterix-Neurone auch anspringen, wenn Handlungen beobachtet werden: Rizzolatti ließ bei seinen Versuchen einen Mitarbeiter die Nuss greifen. Bei dem Affen wurden alleine durch die Beobachtung dieser Handlung die gleichen Planungsareale aktiviert wie die bei eigener Durchführung. Der Affe hatte damit eine Art Spiegelbild der Aktion in seinem Gehirn. Da Spiegelsysteme auch bei Menschen vorhanden sind, geschieht bei uns Gleiches: wenn wir Handlungen beobachten, wird unser Gehirn aktiviert und legt eine Art Kopie dieser (beobachteten) Handlung in seinen Netzwerken ab. Potentiell sind wir damit in der Lage die beobachteten Handlungen zu imitieren bzw. nachzuvollziehen. Das ermöglicht uns die Handlungen bei anderen Personen zu erkennen. Anhand dieser Erkenntnis lässt sich ableiten, dass wir auf Grund unserer Beobachtungen Handlungen erfahren und wiederum aus der Erfahrung der Handlungen diese bei anderen erkennen können.
Wenn wir in einem Lokal sitzen und sehen wie der Barkeeper zu einem Glas greift, werden wir ohne große Überlegungen erkennen, dass er einfach nur ein Glas genommen hat. Sehen wir aber, wie er die gleiche Bewegung anfängt und dann plötzlich in Schlangenlinien zum Glas greift, hat er ganz schnell unsere Aufmerksamkeit, da wir diese Handlung nicht nachvollziehen bzw. nicht mit unseren Erwartungen vereinbaren können.
Hier wird klar, dass die Planungsnetzwerke im Gehirn eine komplette Aktion generieren und somit auch deren Ausgang. Die Planung ist also zielgerichtet angelegt: Bevor der Kellner das Glas ergriffen hat, wissen wir intuitiv schon wie die Bewegung endet, da die Spiegel-Netzwerke in Aktion treten und in uns die gleiche Handlungsplanung aktivieren:
Wir verstehen also nur, weil unser Gehirn uns simuliert, wie es wäre, wenn wir das täten, was gegenüber passiert.
Faszinierend ist, dass es nicht nur bei eigenen internen Planungssimulationen bleibt. Jede Bewegung im Körper wird von dem Gehirn auch „erspürt“: Greife ich nach einem Glas, muss ich nicht lange nachdenken, ich fühle, wie meine Muskeln sich anspannen, mein Ellenbogen sich langsam streckt, meine Finger sich formen, mein Handgelenk abknickt und der Arm wieder zum Mund geführt wird (natürlich spüren wir auch die taktilen Reize, wie dass das Anfassen des Glases). Bei der Aktivierung der Spiegelnetzwerke kommt es zu einem Nachahmen der Handlung, so wie sie sich im Körper anfühlen würde. Die verschiedenen Regionen im Gehirn sind so mit einander vernetzt und im Austausch, dass das Handlungskonzept zu einer Region geleitet wird, die über gespeicherte Erfahrungen verfügt, wie sich eine Bewegung anfühlt.
Die Spiegelneurone simulieren in uns also:
1. einen Handlungsablauf,
2. die mit der Handlung verbundenen Körperempfindungen und
3. die damit verbundenen Emotionen.
Dass beobachtete Handlungen simuliert werden, geschieht nicht nur mit motorischen Handlungen, sondern auch mit Gefühlen, die mit einem Sinneseindruck verbunden sind (3). Tania Singer hat z.B. das Schmerzempfinden erforscht und Folgendes herausgefunden: wenn eine Person sieht, wie einer anderen Person Schmerzen zugefügt werden, so werden die gleichen Regionen aktiviert, wie wenn der Schmerz selber empfunden würde. Auch mit Ekel geschieht ähnliches (4). Mit dieser Erkenntnis lässt sich nachvollziehen wieso z. B. Stress, schlechte Laune, Mitgefühl oder Freude auf uns übergreifen, wenn wir Personen in solch einem Zustand begegnen. Wir nehmen Informationen an Hand von Sprache, Mimik und Körperhaltung auf. In den inneren neuronalen Netzwerken werden die Spiegelneurone aktiv und aktivieren z.T. die gleichen oder ähnlichen Areale dieses Zustandes. Wir verändern uns durch das, was wir in den zwischenmenschlichen Beziehungen erleben. Jede zwischenmenschliche Beziehung verändert uns und erweitert unseren Erfahrungshorizont.
Die Erkenntnis über die Spiegelneurone untermauert die Theorie des Lernens am Modell (5), welche besagt, dass wir unserem Gegenüber durch unsere eigenen Handlungen Neues mit an die Hand geben können. Ähnlich verläuft es in der Konfliktbearbeitung. Die wohl bekanntesten Methoden (nicht nur in der Mediation) sind „Aktives Zuhören“ und „Ich-Botschaften“. Diese Methoden erfordern Übung, um sie ein- und umzusetzen. Sie erfordern weiterhin eine Auseinandersetzung mit sich selbst. So können Ich-Botschaften nur formuliert werden, wenn auch bewusst wahrgenommen wird, was wirklich gewollt oder gesehen wird. Beim Aktiven Zuhören ist es ähnlich: Der aktive Zuhörer sollte sich in die Lage versetzen, die Sichtweise seines Gegenübers „vollkommen“ zu verstehen. Das ist aber nur möglich, in dem der Zuhörer sich seiner eigenen Sichtweise bewusst ist, um sich dann auf die Perspektive des Anderen einlassen zu können. Das erfordert wiederum die Auseinandersetzung mit sich selbst, seinen eigenen Sichtweisen, Werten, Normen und Erfahrungen, als eigene Bewertungsgrundlage. In Berufen, in denen diese Methoden (und noch viele andere) zur Anwendung kommen, ist es notwendig, sich Gedanken über die eigene Person zu machen, denn ausgehend von den Spiegelneuronen werden beim Gegenüber die Zentren aktiviert, die den eigenen emotionalen Zustand spiegeln.
So ist auch die innere Haltung als MediatorIn sehr wichtig. Die Konfliktparteien haben das Vertrauen in ihre Fähigkeit, den Konflikt zu lösen, verloren und glauben auch nicht mehr an dessen Bewältigung. Daher haben sie sich an eine MediatorIn gewandt. Strahlt die MediatorIn nun aus, dass sie innerlich resigniert ist und ebenfalls nicht an die Bewältigung des Konfliktes glaubt, so werden die „ich glaube nicht, dass der Konflikt gelöst wird“ Areale in den Klienten aktiviert und es ist noch schwerer, den Konflikt konstruktiv und mit einer win-win Situation zu lösen.
Anders gestaltet sich die Sitzung, wenn die MediatorIn sich der eigenen Werte, Normen und Bewertungskriterien bewusst ist und innerlich das Gefühl der Zuversicht entwickelt hat, dass die Konflikte lösbar sind. Dieser innere emotionale Zustand aktiviert dann, die „Konflikte sind lösbar“ Areale der Klienten. Nun kommen die angewandten Methoden hinzu, die die Mediator/in als sinnvoll erachtet. Der innere Glauben an diese Methoden und das Einsetzen dieser bei der Konfliktlösung, gibt den Klienten eine Erfahrungs- und Kompetenzerweiterung an die Hand. Diese wird im Gehirn verstärkt gespeichert, da die Klienten diese Methoden mit dem eigenen emotionalen Zustand „Konflikte sind lösbar“ verbinden. Die MediatorIn ist dafür verantwortlich, einen Raum zu schaffen, in dem eine konstruktive Konfliktlösung gesehen werden kann. Die Ausstrahlung der Haltung „schwappt“ auf die Klienten über und ermöglicht so einen guten Einstieg in den Prozess der Mediation. Claude-Hélène Mayer beschreibt die Aufgabe eines Mediators wie folgt: „[...] Das heißt, dass sie allen Beteiligten empathisch und einfühlend gegenübertreten [...]Mediatoren geben lediglich den Rahmen für das konstruktive Konfliktgespräch[...]. Sie sind somit Helfer beim Ausdruck von Gefühlen und Bedürfnissen[...].“ (6) Schulz von Thun schreibt dabei: „Willst Du ein guter Leiter sein, dann schau auch in Dich selbst hinein!“ – „Menschenführung beginnt bei mir selbst (wenn sie auch dort nicht endet).“ (7)
(1) RIZZOLATTI, G.: Empathie und Spiegelneurone. Die biologische Basis des Mitgefühls. Frankfurt a.M 2008.
(2) BAUER, J.:Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone. Hamburg 2005 (12. Auflage 2009)
(3) Siehe Anm. (2) Kapitel 6.
(4) Vgl. Geist und Gehirn: Die Entdeckung des Anderen. Ausgabe 10/2006 S. 26-33.
(5) Vgl. BANDURA, A. (Hrsg.): Lernen am Modell. Ansätze zu einer sozial-kognitiven Lerntheorie. Stuttgart 1994.
(6) MAYER, C.-H.: Trainingshandbuch Interkulturelle Mediation und Konfliktlösung. Münster 2008.
(7) SCHULZ VON THUN, F.: Miteinander Reden. Band 3. Reinbeck bei Hamburg 1998 (Sonderausgabe September 2008, S.54).