klären & lösen – Agentur für Mediation in Berlin

Wie man sich fühlen kann

Newsletter 3/2016

Gefühle werden gefühlt, aber was wir wirklich fühlen, welche körperlichen Empfindungen wir haben, können wir oft nicht ausdrücken. Denn das was wir als Gefühle im landläufigen Sinne bezeichnen, also Trauer, Wut oder Freude, sind nur unsere Ausdrücke für bestimmte Kombinationen von Empfindungen. Auch wenn Bedürfnisse vielleicht universell sind, wie wir diese in Gefühle übersetzen und ausdrücken, ist kulturell geprägt.

In diesem Newsletter möchten wir Ihnen einige Gefühle vorstellen, die Sie vielleicht schon mal so gefühlt haben, für die Sie aber vielleicht noch kein Wort hatten.

Die Grundidee der Mediation ist, von den Positionen zu den Interessen und dann weiter zu den Gefühlen und Bedürfnissen zu kommen, um so ein gegenseitiges Verstehen der Parteien zu ermöglichen. Immer wieder diskutieren wir in unseren Ausbildungen mit unseren Teilnehmer/innen die Unterscheidung zwischen Gefühlen und Bedürfnissen. Oder: eine Konfliktpartei benennt in einem Moment der Mediation, wie es ihr geht und die andere Seite ist nicht in der Lage dies zu verstehen. Liegt es nun daran, dass wir noch nicht lange genug (oder gut genug) mediiert haben, oder kann es auch daran liegen, dass die benutzten Wörter für die geäußerten Gefühle unterschiedlich verwendet und verstanden werden.

Wenn wir über Gefühle reden, erscheint auf den ersten Blick hin alles klar und eindeutig zu sein: Trauer, Wut und Freude zum Beispiel. Bei diesen relativ groben Gefühlen stimmt das wohl auch noch. Schaut man aber genauer hin, stellt sich schon die Frage, was genau die Unterschiede in den Empfindungen sind, wenn wir davon sprechen, dass wir begeistert, beschwingt, enthusiastisch, überwältigt oder überschwänglich sagen. Schon bei dieser sehr kurzen Aufzählung wird klar, dass wir höchstwahrscheinlich sehr unterschiedliche Empfindungen haben, wenn wir diese Wörter verwenden. Tiffany Watt Smith hat in Ihrem 2015 erschienenen Buch „The Book of Human Emotions“ Gefühle aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten beschrieben. In einer sehr unterhaltsam geschriebenen Art Lexikon der Gefühle, werden uns vertraute (Torschlusspanik, welches wohl nur im Deutschen vorkommt), aber auch uns eher unbekannte Gefühle, die wir aber gleichwohl auch fühlen, für die wir nur kein Wort haben, beschrieben. (Und nur nebenbei: da das Buch aus England kommt, ist damit zu rechnen, dass wir die Gefühle, die darin beschrieben sind, hier nur allzu oft anders verstehen oder fühlen).

Awumbuk

Das Gefühl der Leere, wenn Gäste gegangen sind. Die Baining aus Papua-Neuguinea haben hierfür ein eigenes Wort: Awumbuk. Das Gefühl hält über drei Tage an und hält die Menschen vom Arbeiten auf den Feldern und am Haus ab. Stellt man jedoch eine mit Wasser gefüllte Schale über Nacht vor das Haus und schüttet sie am nächsten Tag aufs Feld, kann man sich auch schneller von dem Gefühl befreien.

Ohne dass wir wissen, ob es dasselbe Gefühl sein könnte, kennen wir etwas ganz Ähnliches aus unserer Arbeit. Nach einem langen Seminar oder am Ende einer Mediationsausbildung, wenn wir alle auseinander gegangen sind und man alleine im Raum zurückbleibt, bleibt eine Leere zurück. Eine Leere, die aus der Veränderung der aufgebauten Bindung resultiert, aus dem Wissen heraus, dass wir uns so in dieser Zusammensetzung nicht mehr sehen werden. Vielleicht wird es leichter, wenn wir ein Wort dafür haben und es dadurch ein Stück weit normalisieren können.

Dolce far Niente

Für viele drückt dies am besten das italienische Lebensgefühl aus. Das Gefühl des Glücks nichts zu tun. Im Deutschen gibt es hierfür keine wirklich gute Übersetzung. Das süße Nichtstun. Für viele hier ist Nichtstun nicht uneingeschränkt positiv konnotiert, Im Deutschen hat Nichtstun immer einen Anklang an Müßiggang und ist mit einem latent schlechten Gewissen verknüpft. Beim Dolce far Nienete ist das anders. Es ist uneingeschränkt positiv und es muss auch für nichts gut sein. Nicht der Erholung dienen, nicht der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, sondern es ist einfach so da.

Greng Jai

Das Gefühl, die Hilfe eines anderen nicht annehmen zu können, weil wir diesem damit evtl. Unannehmlichkeiten bereiten könnten. (Thailand) Wer kennt das nicht: Jemand bietet uns seine Hilfe an und es fühlt sich nicht ganz stimmig an. Nicht weil wir denken, dass wir es aus uns heraus nicht annehmen dürften, sondern weil wir den anderen nicht (über Gebühr) belasten möchten. In der Mediation ist es manchmal spürbar. Eine Art Scham Hilfe anzunehmen, die einfach nur eine Unterstützung wäre und für die es keine Gegenleistung braucht.

Man

Man ist das Gefühl etwas tun zu müssen aus einem inneren Antrieb heraus, der nicht hinterfragbar ist. Es ist mehr als ein Wunsch, es ist eher ein Müssen. Wir können uns man fühlen, ohne gleich etwas machen zu müssen. Ist es aber einmal ausgesprochen, bedeutet es auch eine Klarheit in den Zielen. Im Hindi, woher das Wort kommt, bedeutet das ausgesprochene man, dass es nicht mehr diskutierbar ist. Dies ist ein Konzept, welches im Deutschen so nicht existiert. Jedes Ziel, jeder Wunsch ist im Prinzip hinterfragbar. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere. Vielleicht wären Mediationen leichter und würden schneller zum Ziel kommen, gäbe es bei uns ein Konzept wie man. Unhinterfragbare Wünsche und Ziele, die der oder die andere einfach akzeptiert.

Nginyiwarrarringu

Sorge oder Angst vor etwas sind zentrale Momente der Mediation. Im Deutschen werden sie vor allem unterschieden nach der Intensität: Angst, Sorge, Befürchtung oder noch etwas diffuser Unwohlsein mit etwas. Daran hängen kann man auch noch das, was es auslöst oder auslösen könnte: Alleine sein, nicht mehr geliebt zu werden, vor wilden Tieren oder etwas anderem. Die Pintupi aus Westaustralien haben hierfür verschiedene Wörter: ngulu für das Gefühl, dass jemand anders Vergeltung sucht, kamarrarringu für das unbestimmte Gefühl jemand sei hinter einem oder nginyiwarrarringu für das plötzliche Gefühl, dass man sich umdrehen und schauen muss, was hinter einem ist.

Was fehlt

Wenn wir an Mediationen, Supervisionen oder Coachingprozesse denken, beschleicht uns manchmal das Gefühl, dass bestimmte Empfindungen nur unvollständig ausgedrückt werden können, weil dafür die richtigen Wörter fehlen. Hier ein paar Vorschläge für unbenannte Gefühle, die uns in unserer Arbeit immer wieder begegnen:

Mit dem gefundenen Ergebnis bin ich nur so halb einverstanden, aber ich möchte das nicht äußern, weil ich den anderen (oder die Berater/innen?) nicht enttäuschen will.

Das spezifische Gefühl der Ambivalenz auf der einen Seite zu wissen, dass ich mich hier beteiligen sollte, um ein gutes Ergebnis zu erzielen, auf der anderen Seite aber keine Lust habe, mich von meiner Position wegzubewegen.

Etwas mitteilen zu wollen, aber nicht zu wissen, ob das hier und heute der richtige Rahmen ist, oder ob man es sich, den Berater/innen oder Kolleg/innen zumuten kann und will. Dieses Gefühl kann mehrere Ausprägungen haben: „Ich schaue erst mal, was hier passiert, bis dahin sage ich nichts“ bis hin zu „Ich weiß gar nicht, ob das hier alles einen Sinn ergibt“.

Das Gefühl sich nicht von seinem Gefühl verabschieden zu können: In der Mediation äußert sich dies als eine Art Bockigkeit, die immer wieder sagt: „Ich fühle es halt so!, ich bin halt so!, auch wenn die dahinter liegenden Empfindungen sich schon verändert haben und es nun eher darum geht, das Gesicht zu wahren oder man sich eingestehen müsste, das man sich ggf. getäuscht hat.

Unser Eindruck ist, dass es für viele Ambivalenzen keinen eigenständigen Ausdruck gibt. Ich liebe eine Person noch, bin mir aber nicht mehr so sicher. Ich möchte etwas sagen, traue mich aber nicht. Ich habe das Gefühl etwas tun zu müssen, weiß aber, dass ich andere damit verletzen werde und verharre im Nichtstun. Ich mag meinen Job nicht mehr, weiß aber nicht was passiert, wenn ich kündige und verbleibe. Vielleicht wäre es hilfreich, wenn es für diese Ambivalenzen eigene Wörter gäbe. Dies würde es erleichtern, diese widersprüchlichen Gefühle auszudrücken und ihnen auch eine Legitimität verleihen.

(Michael Cramer)